Samstag, 17. November 2012

Der Rest vom Ruhrgebiet: Bottrop

Der von mir sehr gern gelesene Herr Buddenbohm, Alltagsprosazauberer von der Elbe, hat dort das ehrgeizige Unterfangen, über die Stadtteile Hamburgs zu schreiben, zu einem Blogprojekt gemacht und Hamburger Blogger dazu aufgerufen,über ihre Stadtteile zu berichten...

Rührig wie der Ruhrmensch nun mal ist, hat sich Anne auf Ach komm geh wech vorgenommen, dieses Konzept mal ins Ruhrgebiet zu tragen. Und obwohl Bottrop schon wech ist, kommt hier mein Beutel Kleingeld zu meiner Heimatstadt.

Was ich zu Bottrop kaum habe, ist Distanz. Das liegt daran, dass ich hier a) geboren bin, b) aufwuchs und c) immer noch wohne. Ich bin also eine waschechte Insiderin, und als solche betriebsblind, voreingenommen, parteiisch und so. Außerdem stolz drauf.

Aufgewachsen bin ich in einem Teil des Ortes, der keinen Namen hat- irgendwo auf einer gedachten Linie von der Altstadt zum Ortsteil Eigen. Vor dem Haus meiner Eltern (na gut, dazwischen lagen die Häuser gegenüber und noch eine weitere Straße) ist der Stadtpark (okay, die Ausläufer), dahinter ist viel Garten, von meinem Vater in preußisch-gerade Form gebracht. 
In meiner Kindheit war alles voll mit Kindern, die niemand daran hinderte, Spiele wie „Deutschland erklärt den Krieg“ auf der Straße zu spielen. Kennt einer die Regeln? Entweder ich hab sie nicht behalten, oder sie waren damals schon so nebulös, dass sie nur aus Rumschreien und Mit-Kreide-Herumschmieren bestanden. Die gefühlte Idylle des Auf-der-Straße-spielen-Könnens ( Tempo 50, Spielstraßen waren noch nicht erfunden) leidet im Nachhinein darunter, dass ich mich an mindestens fünf teils schwere Unfälle erinnern kann.
Ich bin in den Jahren des abflauenden Babybooms geboren, genauer gesagt kurz nach Aussterben der Velociraptoren, 1963. In meine Klasse gingen 42 Schüler, und einige haben nichts gelernt, andere dafür waren recht erfolgreich. Wichtig war es, ordentlich aufzupassen, die Hausaufgaben zu machen und nicht unbrav zu werden. Insofern unterscheidet sich vermutlich Bottrop in den Sechzigern nicht von irgendwelchen anderen Städten, es sei denn durch den extrem schlechten Ruf als schmutzig, ungebildet und proletenhaft.
Betrachtet man die Vergangenheit, so ist festzustellen, dass der Anteil an klassisch-bürgerlichen Bevölkerungsteilen früher vermutlich sehr gering war.
Die Stadt selbst, hervorgegangen aus einem Dorf am Rande des Münsterlandes, wurde zu Beginn des Kohleabbaus überschwemmt von Arbeitssuchenden, zusammengewürfelt aus ganz Deutschland und aus Polen- die ersten Gastarbeiter, später dann gefolgt von denen der zweiten Generation, die dann aus Südeuropa kamen.
Es kamen die Ärmsten der Armen, die, die keine Chance hatten in ihrer Heimat- wer verlässt sonst schon in Massen den Mittelpunkt seines Lebens, außer denen, denen das tägliche Brot, das Dach überm Kopf oder der Frieden vor der Tür fehlt?
Natürlich prägt so ein Massenzulauf der Armen und Ungebildeten auch den Charakter einer Stadt- und so ging es hier Jahrzehnte lang nur um Arbeit, überwiegend schwere körperliche Arbeit unter Tage.
Nach Feierabend brauchte der Mensch schlichtes Erholen, oder Energie, um mit einem zweiten Job und der Arbeit im Garten das Futter für die Familie aufzubessern. Denkt man sich noch eine Welt, in der Bildung selbst in einem Kleinstadtgymnasium Geld kostete, so kann man sich vorstellen, dass Bottrop für einen großen Teil des zwanzigsten Jahrhunderts die kleine, dumme, schmuddelige Schwester neben den Stars wie Essen war.
Mitten in die Zeit, als man sich hätte berappeln und ein paar Dinge hätte starten können, kam das Zechensterben und der Rückzug des Bergbaus. Sehr schlecht für eine Stadt, die Kohle hatte und sonst kaum etwas.
Heute ist es so, dass die Finanzdecke immer noch zu dünn, zu löchrig, und auch zu kurz ist an allen Enden. Die öffentliche Umgebung verfällt, egal, wie viel Mühe sich die Menschen geben. Jede neue Aufgabe, die uns zuwächst, kostet- Konnexitätsprinzip hin oder her- mehr, als wir zur Kompensation bekommen. Wir zahlen immer noch für Städte im Osten, und nicht nur der Kämmerer ballt die Fäuste in der Tasche deswegen.

Klein ist hier alles geblieben. Die Beschränkung auf das Machbare und das Bezahlbare hat über die Jahrzehnte trotzdem ein beachtliches Gesamtwerk zu Tage gebracht. Mit dem wird gern geworben, zu Recht, aber irgendwie ist das  nicht meine Stadt (nicht nur, jedenfalls).

Viele Dinge, denkmalgeschützte Gebäude, alte Waldbestände, gewachsene Wohn- und Lebensstrukturen in alten Siedlungen, sind nur geblieben, weil wir immer arm waren, und uns auch den Hau-es-um-und-bau-es-neu-Wahnsinn der sechziger und siebziger Jahre nicht leisten konnten. Viele ebenfalls schöne Dinge haben schon den Krieg nicht überlebt, weil wir hier durch die Schwerindustrie doch sehr im Mittelpunkt von Angriffsinteressen lagen.
Natürlich wurde für den Wiederaufbau in der ganzen Republik Kohle und Stahl gebraucht, natürlich brauchte man dafür Arbeiter, die Wohnungen brauchten, die dann aus dem Boden gestampft wurden - und heute wird gelächelt, geschimpft und gespottet über die alten Straßenzüge mit den Nachkriegsbauten. Schön sind sie wirklich nicht.
Ich lebe an so einer Straße. Zugegeben an dem „neuen“ Ende, einer Verlängerung aus den Endneunzigern, gebaut auf verkauftem Tafelsilber meiner Stadt, Teil eines Naturschutzgebietes.

Die Straße selbst war in den alten Teilen so marode, dass sie bereits in Plänen von vor zehn Jahren als „unbefahrbar“ eingestuft wurde. Was macht eine Stadt wie Bottrop mit so einer Straße? Richtig. Sie stellt Schilder auf, auf denen „Straßenschäden“ steht, und wartet eine Dekade mit der Reparatur. 
Wenn ich eine Qualität meiner Heimatstadt benennen sollte, wäre es die Geduld...

Von meinem Wohnzimmer aus könnte ich das Tetraeder sehen, wenn die rechte Wand eine Außenwand mit Fenster drin wäre (ist sie aber nicht). Gehe ich bis zur Ecke und überquere die Hauptstraße, bin ich in besagtem (s.o.) Naturschutzgebiet, und kann lange darin spazieren gehen, und wenn ich richtig gehe, treffe ich auf ein hübsches Schlösschen, das zur Nachbarstadt gehört. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist 25 Minuten strammen Fußmarsches entfernt. Ich nehme das Auto, danke schön.

Meine Kindheit war noch geprägt von Rußflocken (samtig und sehr schwarz) auf weiß lackierten Fensterbrettern, vom Geruch der Kohlefeuerung in den Öfen der Wohnhäuser und schwarzem Schnee. Aber auch von sommerlichen Radtouren, die vom Stadtpark aus bis ins Münsterland führten, ohne dass man andere Städte auch nur berühren musste, und von vielen Nachmittagen im Museum für Ur-und Ortsgeschichte, das später Teil des Quadrats wurde.

Rußflocken übrigens sehen nur gut aus, solange sie auf Fensterbrettern liegen. Versucht man, sie in die Hand zu nehmen, wird Dreck draus. Schade.


Schönes Wochenende von der

Lily.

4 Kommentare:

Womble hat gesagt…

Chöööön !!!!

Paula hat gesagt…

In Bottrop möchte ich nicht mal tot überm Zaun hängen, aber das möchte ich in meiner Heimatstadt auch nicht, einem Kaff an der Westküste.

Aber, wie sagt man so schön: "Home is where the heart is". Schöne Liebeserklärung an Deinen Heimatort!

Kate hat gesagt…

Hach, ich find Bottrop auch toll! :-)
Und das Abgefahrene ist, dass wirklich JEDER die Spielregeln von diesem Kriegsspiel vergessen hat! Wir haben das früher auch gespielt (und ich fand das toll) aber keiner weiß mehr, wie die Regeln waren...unfassbar... ich wär für ein Remake des Spiels! Scheiß auf politische Korrektheit! :-)
Schönen Samstag zusammen!

autoankaufköln24.de hat gesagt…

Liebe Autor dein Blog gefällt mir sehr.
sehr gut artikel, sehr nüzlich!


vielen Dank für deine super Ideen, nur gemeinsam sind wir stark, echt prima!
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